Geschichte der Rhetorik

Seit der Antike fragt man nach dem Sinn der Rhetorik. Die Problematik liegt in der Zweideutigkeit und Offenheit für jede Form der Manipulation.

Seit der Antike fragt man nach dem Sinn der Rhetorik. Häufig mit einem Beigeschmack, der die Rhetorik als eine selbständige und gesellschaftlich nützliche Disziplin betrifft.


Die Problematik liegt in der Zweideutigkeit und Offenheit für jede Form der Manipulation. Bereits der rhetorische Basis-Satz, dass es keine interessenlose Erkenntnis gibt, schafft Distanz zum Gehalt jeder Rede und relativiert ihren Autoritätsanspruch. Damit ist jede rhetorische Handlung parteilich. Die Vorurteile gegen die ars bene dicendi, die Kunst, gut und wirkungsvoll zu reden, sind so alt, wie die Rhetorik selbst (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994).

Rhetorik ist Schmeichelei


Auch Sokrates kritisierte die bestehende Rhetorik als Schmeichelei, die von wahrer Erkenntnis wegführt (vgl. Platon, Gorgias, 463a). Er fordert die Verknüpfung von Philosophie und Ethik. Die Rhetorik darf immer nur für das Gerechte gebraucht werden und das erfordert vom Redner Tugendhaftigkeit (vgl. Platon, Gorgias, 527c-d).


Die Allianz der Rhetorik-Gegner reicht von Kant bis Schiller und Goethe bis Hegel etc. Und auch heute lebt die Rhetorikverachtung fort. Vielleicht kann der Verfall der Beredsamkeit als Ausdruck einer tiefen kulturellen Krise verstanden werden (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 2f.).

Zank und Streit


Die Geschichte der Rhetorik beginnt im 5. Jahrhundert vor Christus. Die Tyrannenherrschaft wurde in Sizilien und in Athen beseitigt. Große Teile der Bevölkerung wurden durch Institutionen an der Macht beteiligt. Der Aufschwung des Handels und die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse ließen die Macht der wenigen Adligen schrumpfen. Politische Einrichtungen wurden durch eine breite Öffentlichkeit kontrollierbar gemacht. Die Gerichtsbarkeit verteilte sich auf Volksgerichte.


Um Korruption und Vorabsprachen zu verhindern, setzen sich die Volksgerichte aus Vertretern zusammen, die unmittelbar vor den Verhandlungen durch Losentscheid bestimmt werden.


Ein wichtiger Moment für die Entstehung der Rhetorik war also das Vorhandensein von Streitigkeiten und Interessengegensätzen, die von allgemeinem Interesse waren (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 11).

Die berühmtesten Rhetoriklehrer

Gorgias
Zu den bekanntesten Rhetoriklehrern aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. gehört Gorgias von Leontini (circa 480-380). Für Gorgias ist Rhetorik eine Streitkunst, eine Waffe, um auf Menschen zu wirken und sie zu beherrschen (vgl. Platon, Gorgias, 465c; 452e-453a). Rhetorik wird sowohl zu guten als auch zu schlechten Zwecken verwendet. Gorgias vergleicht die Wirkung einer Rede mit der Wirkung von Giften. So bewirkt die Rede bei den Zuhörern mal Trauer oder Freude, Furcht oder Zuversicht. Manchmal vergiftet und verzaubert sie die Seele durch Verführung zum Bösen (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 16).


Platon

Platon (427-347) war Schüler von Sokrates und ihm geht es um die Erkenntnis der Wahrheit. Ein idealer Redner ist ein Dialektiker. Platons Kritik an der Rhetorik bezieht sich darauf, dass die Rhetorik nicht den Zuhörer das Wahre erkennen lässt. Sie führt nicht zur wahren Erkenntnis. Rhetorik ruft nur Meinungen hervor und führt zur Sicht dessen, was möglich und nicht dessen, was wirklich ist (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 20).


Aristoteles

Aristoteles (384-322), der als Lehrer 20 Jahre lang an Platons Akademie tätig war, sieht im Hervorrufen der Affekte hingegen einen positiven Effekt für den Zuschauer. Er interpretiert die Realität als offenen, noch nicht abgeschlossenen Prozess (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 5, 22-26). Seine Redekunst befasst sich mit dem Wahrscheinlichen. Ziel der Rhetorik ist es, Mittel bereit zu stellen, die den Redner in die Lage versetzen, den Zuhörer zu überzeugen. Der Zuhörer muss schließlich betrachten und beurteilen (vgl. Aristoteles, Rhetorik, I,3). Dabei ist es nicht die Pflicht des Redners in jedem Falle zu überzeugen. Die Pflicht des Redners ist, Überzeugungsmöglichkeiten zu finden und das Publikum in die Stimmung zu versetzen, die es geneigt macht, sich vom Redner überzeugen zu lassen. Nur mit den Mitteln des ethos, pathos und logos kann die Rede gelingen (vgl. Aristoteles, Rhetorik I,2 [Hervorh. i. O.]).


Cicero

Cicero (106-43) versteht die Rhetorik als Mittel zur politischen Wirkung. Er geht davon aus, dass ein Redner aufgrund seiner philosophischen Unkenntnis, aber Kenntnis der rhetorischen Mittel, das Schlechtere als das Bessere darstellen kann. Er entwirft das Idealbild eines Redners perfectus orator, das den Redner zu tugendhaftem Handeln befähigen soll. Dieses Idealbild kann jedoch nie erreicht werden (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 31f. [Hervorh. i. O.]). Der Redner braucht Wissen über sehr viele Dinge, die er rhetorisch in die rechte Form bringen muss, um die Herzen der Zuhörer zu berühren. Er braucht Charme, Witz, Schlagfertigkeit, Bildung, Anmut, Eleganz, ausdruckreiches Mienen- und Gebärdenspiel und Abwechslung in der Stimme (vgl. Cicero, I, 17-18).

Zeitreise


Rhetorik im Mittelalter
Im Mittelalter wertete man Wissenschaft und Rhetorik ab und wendete sich der christlichen Lehre zu (vgl. Ueding & Steinbrink, 1994, S. 46-48), zu Zeiten der Renaissance bis Barock (15. bis 17. Jahrhundert) wurde das Bildungssystem modifiziert, die Rhetorik erlangte erneute Bedeutung und „[f]ast jeder berühmte Gelehrte hat (mindestens) ein Lehrbuch zur Rhetorik […] verfaßt“ (Ottmers, 1996, S. 4).


Rhetorik im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert kommt es, wegen Verwerfungen innerhalb des rhetorischen Systems, zum Niedergang der Rhetorik. „[E]s kommt zu einem markanten Bruch in der Rhetoriktradition, wobei die genauen Gründe bislang nur ansatzweise erforscht sind“ (Ottmers, 1996, S. 5).


Und heute?
Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts kam es zu einem Wiederauferleben der Rhetorik. „Offenbar befinden wir uns derzeit am Beginn eines Zeitalters, das die fast zweihundertjährige ‚Lücke’ in der Rhetorikgeschichte überwunden hat“ (Ottmers, 1996, S. 5).

Wunsch und Hoffnung


Bereits 1996 stellte Ottmers fest, dass durch die neuen Medien die rhetorische Wirkung immer schneller, weitreichender und damit unkontrollierbarer geworden ist. Durch die veränderten Konstitutionsbedingungen wurde die Selbstdarstellung zum festen Bestandteil und die inhaltliche Komplexität oft stark vereinfacht (vgl. Ottmers, 1996, S. 45f.).


Heute hat sich die rhetorische Situation durch die stärkere Nutzung von Online-Medien noch weiter zugespitzt. Der Anspruch an Redner ist hoch: „Der oder die PräsentatorIn muss für das Programm brennen. Ist er nicht absolut begeistert von dem, was er vor der Kamera erzählt, erreicht er sein Publikum nicht. Und wenn er sein Publikum nicht erreicht, funktionieren seine Inhalte auch in den sozialen Medien nicht.“ (Krachten, 2016, S. 28)


Dabei muss sich der Redner wie ein „Alleinherrscher“ in seinem Fachgebiet verhalten (ebd., S. 29). „Lebendigkeit, Leidenschaft und Authentizität sind, auch wenn mancher diese Worte schon nicht mehr hören kann, unverzichtbare Eigenschaften eines Moderators.“ (Krachten, 2016, S. 30)


Wunsch und Hoffnung
Rhetorik meint aber mit „der Kunst ‚gut‘ zu reden nicht nur die technisch-persuasive Fähigkeit des Redners, sondern ausdrücklich auch dessen ethisch-moralische Befähigung“ (Ottmers, 1996, S. 12). Das römische Ideal perfectus orator (Cicero) und vir bonus (Quintilian) lässt sich bis heute zwar nicht eindeutig präzisieren und definieren.


Wunsch und Hoffnung sind, überzeugende Redner mit ethisch-moralischer Befähigung zu hören und erleben!
Und genau dafür gibt es Rhetorik!

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